Tonsüchtig heißt die Doku von Iva Švarcová und Malte Ludin über das Innenleben der Wiener Symphoniker. Das Innere - das sind die einzelnen Orchestermitglieder, die Teil von einem ganz Großen sind.
Ein Film wie eine Bestandsaufnahme. Zunächst sieht man das weltberühmte Orchester in der Froschperspektive beim Üben "Ausdruck nicht mit Lautstärke zu verwechseln", dem folgen intime Einblicke in die Seele einiger Symphonikerinnen und Symphoniker, also quasi den ganzen Klangkörper in seinen Einzelteilen. Sie erzählen biographische Anekdoten über ihre Vorbereitungen zur Konzertaufführung, über Vergänglichkeit, Berufsentscheidung, Fortschritte, Orchestererfahrungen, Solistenträume bis hin zu ihren persönlichen Eigenschaften und auch der Versagensangst.
"Wenn ich spielen muss, zittern die Hände und man erwischt den Ton nicht. Der Bogen geht nicht schön, sondern stolpert über die Saite - und das kommt - das sind Millimeter, die man sonst nicht wahrnimmt."
Im Film sieht man auch einen ehemaligen Symphoniker, der diesen Ängsten nicht mehr gewachsen war und nicht mehr im Orchester spielen kann, dennoch den Symphonikern erhalten blieb - als Orchesterwart. "Das ist hart", hören wir ihn sagen, "aber damit muss ich leben." Der Erste Konzertmeister kurz vor seiner Pensionierung erzählt wiederum, dass er an dieser großen Verantwortung ohne Überwindung der Angst sicher gescheitert wäre. "Es gibt sehr viele Beispiele von Musikern, die das jahrelang problemlos konnten, und dann plötzlich tauchen diese Ängste wieder auf und machen ihnen das Leben sehr schwer." Der Druck in einem derart prominenten Orchester zu spielen, ist immens, oder wie an einer Stelle im Film der Dirigent lapidar zu hören ist: "Gehen Sie einfach ans Äußerste".
Das Regie-Duo zeigt in bisweilen sehr dynamischen Einstellungen während der Orchesterproben und solistischen Darbietungen einerseits die Harmonie im Orchester und andererseits das Leben außerhalb des Orchesters. Private Einblicke im Wohnzimmer inklusive Familientherapie, sowie auf dem Ruderboot, mit dem Pferd, beim Picknick oder in den Kindheitserinnerungen durch Wien schlendernd - es ist oftmals die Suche nach der Stille, die das Filmpublikum zu sehen bekommt, aber auch philosophische Betrachtungen über den Wiener Klang: "Der Wiener Klang ist die Luft, die man atmet."
Letztendlich zeigt Tonsüchtig zudem die Suche nach einem neuen Ersten Konzertmeister. Eine Frau macht schließlich das Rennen: "Ich glaub, die Wiener freuen sich auch, dass hier endlich mal eine Frau sitzt“, hören wir sie stolz sagen. Tonsüchtig lotet den Grat zwischen Triumph und Desaster aus, zwischen Harmonie und Dissonanz und zeigt eine Welt der gnadenlosen Disziplin, die nach ständiger Höchstleistung verlangt und keinen Fehler verzeiht, oder, wie eine Musikerin preisgibt: "Perfektionismus, den man eingepflanzt bekommt als professionelle Musikerin, überwindet man nicht so leicht. Man lernt nur geduldiger damit umzugehen." Zwischen Rausch und Routine, so der Untertitel der Doku, ist ab sofort auf DVD erhältlich. //
Text: Manfred Horak
Fotos: Filmladen Filmverleih