Foto Niki Hofer Das sakrale Tattoostudio

Zeig Herz mit einem Tattoo – Unter diesem Motto wurde aus der Kapelle der Pfarrkirche St. Martin in der Langen Nacht der Kirchen das sakrale Tattoostudio.

Der Löwe von Aspern bewacht den unscheinbaren Hintereingang zur kleinen Kapelle der Pfarrkirche St. Martin. Das Kriegerdenkmal erinnert an die tausenden gefallenen Soldaten, die in der Schlacht um Aspern im Fünften Koalitionskrieg ihr Leben lassen mussten. Im angenehmen Licht der Abendsonne wirkt es so, als würde der sterbende Löwe nur schlafen. An dem Tier vorbei, in der kleinen Kapelle, ist an Schlaf nicht zu denken. Martin Rafael Rocha Uhrovic und Mutter Hedviga Uhrovicova treffen hektisch die letzten Vorbereitungen für eine lange Nacht. Sie haben die Kapelle in das sakrale Tattoostudio umfunktioniert. Wo man sonst dichten Weihrauch und fahles Kerzenlicht erwartet, ertönt jetzt zwischen Desinfektionsmitteln, Rasierern und Tinte das monotone Brummen einer Tattoomaschine. Aus der angrenzenden Kirche, die nur durch eine bunte Glaswand von der Kapelle getrennt ist, erklingt gesungen das Abendlob. Martin Rafael Rocha Uhrovic tätowiert in dieser langen Nacht gegen eine freie Spende vorgefertigte Herz-Tattoos unter die Haut all jener, die einen der zehn Termine ergattern konnten.

Tätowieren für den guten Zweck

Das sakrale Tattoostudio Glasfensterraum Foto Niki Hofer

Rocha Uhrovic tätowiert seit mehr als elf Jahren. Trotzdem sei er angesichts des engen Zeitplans ein bisschen nervös, wie er sagt. In drei Stunden sollen zehn Personen gegen eine freie Spende christliche Herz-Tattoos unter die Haut gestochen bekommen. Das Geld kommt der Pfarrcaritas Aspern zugute. Wer keinen der Termine ergattern konnte, darf sich einen Rosenkranz aus der Sammlung von Rocha Uhrovic mitnehmen. Das sakrale Tattoostudio Projekt ist Teil einer Reihe von Veranstaltungen, die die Pfarre Aspern im Zuge der Langen Nacht der Kirchen organisiert. Die Pfarre ist an den Tattookünstler herangetreten, der sofort von der Idee begeistert war. "Menschen wollen sich mit ihren Tattoos ausdrücken“, meint Rocha Uhrovic. "Wenn ich etwas auf meinem Körper verewige, muss das eine wichtige Bedeutung haben, etwa für Familie oder Glauben stehen.“ In der Slowakei, wo die Familie herstammt, wäre so ein Event nicht möglich, meint Mutter Hedviga Uhrovicova. Die Kirche sei dort strenger.

Kirche und Tattoo

Viele üben Kritik an Tattoos, die bis vor einigen Jahren noch mit Verbrechen und Gewalt assoziiert wurden. Ihre Ablehnung begründen sie mit einem Zitat aus dem Alten Testament: "Einen Einschnitt wegen eines Toten sollt ihr an eurem Fleisch nicht machen; und geätzte Schrift sollt ihr an euch nicht machen.“ (Lev. 19,28) Historisch bezieht sich die Stelle auf israelische Völker, die sich aus Trauer um Verstorbene die Haut ritzten. Das Christentum wollte sich klar von dieser Praxis abgrenzen. Die genaue Bedeutung bleibt Auslegungssache. Bezieht sich der zweite Teil des Zitats auf die Erinnerung an Verstorbene oder stellt er ein generelles Tattoo-Verbot dar? Fakt ist, dass mittlerweile über ein Viertel der Österreicher*innen tätowiert ist. Auch in kirchlichen Kreisen findet das Tattoo immer mehr Zustimmung.

Glaube, der unter die Haut geht

Die ersten, die sich in der Kapelle in Aspern unter Rocha Uhrovic’s Nadel legen, sind eine Mutter und ihre Tochter. "Mittlerweile bin ich alt genug, aber es ist mein erstes und letztes Tattoo“, scherzt die Mutter. Sie habe bei der Messe von der Aktion gehört und in der Situation mit ihrer 17-jährigen Tochter entschieden, gemeinsam teilzunehmen. Wenn gerade nicht tätowiert wird, hastet Mutter Hedviga Uhrovicova durch den kleinen Raum und desinfiziert die Flächen und Instrumente. Als pensionierte Krankenschwester habe sie eine gewisse Vorerfahrung. Der nächste Besucher will sein Herz-Tattoo als ständige Erinnerung an "alte Werte“ wie die zehn Gebote unter seiner Haut tragen. Als nächstes betritt ein Paar das sakrale Tattoostudio. "Wir sind Stammkunden beim Martin, er wurde mir empfohlen, seitdem hat er mir neun Tattoos gestochen“, erzählt der 59-jährige Christian. Seine Freundin Tanja und er haben sich beide ihr erstes Tattoo bei Rocha Uhrovic stechen lassen und kommen seitdem immer wieder. "Das ist einfach sein Stil“, erzählen die beiden über Rocha Uhrovic, "dieses Kirchliche mit den hohen Wänden und Engeln. Bei ihm zuhause im Studio sieht es genauso aus.“ Sie verlassen das sakrale Tattoostudio, die Kapelle, schnell vorbei am Asperner Löwen, um ja keinen Strafzettel zu bekommen. Auf Rocha Uhrovic und seine Mutter warten schon die nächsten Besucher*innen in dieser langen Nacht. //

Text und Fotos: Niki Hofer

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