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Nehmen wir an, Architekten, Landschafts-, Verkehrs- und Stadtplaner wären stets großherzig, gütig und weise. Sie planten zum Besten des Gemeinwohls der Bürger und Bürgerinnen, vorausschauend und uneigennützig. Dazu gehört in städtischer Dichte, Wiens zum Beispiel, ein vielfältiges Angebot unterschiedlichster Flächen und Räume, von Wald bis Wohnen, von Arbeit bis Zerstreuung, von Park bis Parkplatz. Für die muss es konkurrierende, auch einander ausschließende, Vorstellungen geben, für die eine Stadt und ihre selbständigen wie beamteten Planer im Rathaus aus vernünftigen, nachvollziehbaren Gründen Prioritäten setzen. Soweit Standesehre, Wissenschaft und Theorie, der die Stadt Wien mit verschiedenen Stadtentwicklungsplänen im Wesentlichen auch entspricht.

Filz' Economy

Die Geschichte leidet unter dem empfindlichen Mangel, dass die Planungen zu erheblichen Teilen nicht mit eigenem Geld verwirklicht werden, sondern dem diverser Unternehmen und Investoren, denen Profite über Altruismus gehen. Und selbständige Planer überwiegend von deren Aufträgen wirtschaftlich abhängig sind. So kriegt die reine Theorie arg dreckige Dellen, die Seiß’ Buch an 18 "hot spots" der Wiener Stadtentwicklung seit der Ostöffnung 1989 eingehend beleuchtet. Oft ist das Interesse einer Firma - z.B. Wienerberg City, Monte Laa, Milleniumstower, Rothneusiedl - vor einer städtischen Absicht solcher Standortentwicklung da und werden die Konzepte, auch nachträglich, mühsam auf deckungsgleich mit den Investoren getrimmt. Quasi unter der Hand verschwindet dabei ökonomisch Fruchtloses wie Kinderspielplätze, Grünflächen, Bebauungsbeschränkungen oder gute Wohnungen mit vernünftigen Grundrissen, Ruhe und Sonne auch für weniger Reiche.

Reinhard Seiß' Buch ist ein politisch guter Reader, wie gesellschaftliche Vorstellungen neuzeitlich deformiert werden. In Wien kommt verschärfend hinzu, dass im Rathaus seit neunzig Jahren kaum unterbrochen Sozialdemokraten herrschen, die ein reiches Geflecht an Firmenbeteiligungen, Abhängigkeiten und "Networking" entfaltet haben, das ihnen ohne Weiteres zu ermöglichen scheint, mit der linken Hand zu tun, wovon die rechte nichts weiß und die Opposition nicht informiert wird. Etwa durch Verflechtungen mit den Wiener Stadtwerken, der größten heimischen Bank BA-CA samt deren (wesentlichen) Immobiliengesellschaften, augenscheinlich bis hin zum "News"-Fellner-Medien-Konglomerat im Zug der Einmietung des Wohnservice Wien in deren Bürohaus. Wer sich als informierter Bürger an Planungs- und Bauprozessen zu beteiligen wünscht, kommt um dieses Buch nicht herum.

Weitere Fachgespräche wären hilfreich, sowohl der Planung als auch der Kommunikation und Medien. Auskünfte der Planungsverantwortlichen, etwa in öffentlichen Diskussionen, wären interessant, auch politische des Bürgermeisters und architektonische, etwa von Hans Hollein, Wolf Prix oder Albert Wimmer. Und der von Seiß behaupteten Willfährigkeit von Medien auf den Grund zu gehen. Sein Befund ist ja richtig wie schlecht, dass es hierzulande kaum Planungs- und Urbanismuskritik gibt, aber warum. Sein Public-Relations-Bashing greift mir zu kurz. (Monika Gentner)

Buch-Tipp:
Reinhard Seiß - Wer baut Wien?
Verlag Anton Pustet, 215 Seiten, € 22,-